Beijing – Reisebulletin
Liebe Badener.
Wenn ein Bauer eine Reise tut, so kann er was erleben. Wenn er sie nicht tut, auch. Denn auch auf dem Acker gibt es Erlebnisse. Andere, wie auf einer Reise. Aber vom Ochsen auf die Hörner genommen zu werden gehört auch nicht zu den schlechten Eltern.
In den ersten 12 Tagen auf der Reise ist Vieles passiert im Sinne von Anekdoten, wie sie nur dem badischen Landbauern vorbehalten bleiben. Nur ihm ist abhold, sich in der Fremde als stolzer Badener zu präsentieren und der Welt zu zeigen: Geht doch! Wenn auch mit Verzögerung.
So war das erste Essen in Peking ein wahres Erlebnis, sowohl für mich als auch meinen gegenüber sitzenden Damen, wovon eine die von mir gebuchte Peking-Führerin war, die mir von einem in der Transsib mitreisenden Schweizer empfohlen wurde.
Zur Vorbesprechung gingen wir in ein typisches Chinarestaurant, wobei ich mir das Essen auswählen ließ. Einzige Bedingung: 2-Beinig oder Fisch!!! Damit hatte ich diverse Fleischsorten ausgeschlossen, deren Namen des Brechreizes willen an dieser Stelle nicht genannt werden. Schlimm genug, dass jeder sofort an … denkt.
Mein Gehirn arbeitete beim Bestellvorgang unablässig an der Frage der Fragen: Wie bekomme ich das größte Problem des Tage gelöst, das Essen mit den berühmten Stäbchen, die mir schon einmal in Amsterdam zum Verhängnis wurden. Ein Traumata, das ich auf dieser Reise endgültig ablegen wollte und heute schien mir der Tag der Befreiung gekommen zu sein.
Drei Platten mit Reis, Gemüsemischung , Fleischbollenplatte unbekannter Herkunft und ein ganzer Fisch mit sehr ansprechendem Aussehen und verführerischem Duft wurden serviert. Dazu warmes Wasser mit Zitrone. Soll gut sein gegen Alkoholismus. Vermutlich eine Überlieferung von Konfuzius.
Der Moment war gekommen. Jetzt hieß es nur noch gewinnen oder für alle Zeit verlieren. Ich griff nach den Stäbchen wie zum Schwert aus dem heiligen Kral und lies mir sicherheitshalber zeigen, wie man die Finger legen muss, obwohl ich mich in diesem Moment genau an den Chinesen in Amsterdam erinnerte, der mir dies auch zeigte und mich im Fiasko enden lies: mit Hunger vor vollem Teller.
Nach 5 Minuten Kampf mit einer Erbse, hatten die beiden Mitleid und haben ganz komische Teile kommen lassen. Metallisch aussehende Flacheisen, wovon eines nach vorne hin flach auslief und das andere aufgeteilt war in 4 Spitzen. Kam mir bekannt vor, aber ich habe mich in die Stäbchen eines Teils verliebt, andernteils noch mehr verbissen und nach 10 Minuten war die Erbse im Mund, das Hemd verspritzt, die Höflichkeit bei den Beiden bezüglich Lachen dahin. Aber: nach weiteren 10 Minuten flogen die Bohnen, Erbsen, Fischs- und Hühnerstücken nur noch so in den Mund.
Geht doch und die beiden Frauen waren sehr überrascht, dass ich trotz den mühseligen Anfängen nicht zu den Flacheisen gegriffen hatte. Das wäre die absolute Niederlage gewesen. Für immer. Die Heimreise wäre wahrscheinlich gewesen.
Der Badener eben. Auch in China zeigt er die unverkennbare Verbissenheit bei der Problemlösung, die bereits vor Jahrhunderten die Türken auf dem Weg nach Wien zum Verzweifeln brachte. Damals zeigte der Großherzog Louis von Baden, genannt Türkenlouis, wo es lang geht, wenn man sich mit den Badenern anlegt. Einfache Straßenschilder an den damaligen Handelsstraßen mit der Aufschrift WIEN in die falsche Richtung gestellt, führten die übermächtigen Heere des Sultans nach Istanbul zurück. Da die Stadteinfahrt ebenfalls den Namen WIEN trug, gab es eine kampflose Übergabe der Stadt. Dass die ganze Stadt türkisch sprach gab zwar zu denken, aber erobert ist erobert. Die Soldaten hatten die badische Kriegslist längst durchschaut, aber sie blieben ruhig nach dem Motto:
Lieber zuhause,
bei Weib und Tee,
als ein Mutiger vor Wien,
aber tot im Schnee.
Damit verlasse ich den Nachhilfeunterricht in Geschichte und gehe ins Bett. Es ist hier nämlich 23.10 und nicht wie bei Euch 16.10 Uhr.
Wilfried