Bulletin Nr. 6 – Blue Mountains – zum 3. Advent

Bulletin Nr. 6 – Blue Mountains – 3. Blaue Adventstürchen

Weihnachten naht und das Lieder singen sollte vor dem Fest geübt werden. Nur so kann einigermaßen verhindert werden, dass der Gesang unter dem brennenden Baum nicht zu einem elenden Gejammer verkommt. Wenn schon die Kerzen in vielen Haushalten nicht mehr richtig brennen dürfen, dann sollte zumindest der Familienchor zeigen, was er drauf hat. Zum Üben muss es nicht gleich ein Weihnachtshammer sein. Mein Vorschlag folgt.

Von den blauen Bergen kommen wir, wer kennt es nicht, das Lied, mit dem man den Lehrer ärgern wollte. Ich erinnere mich noch an die Erzählungen unseres Volksschullehrers Bechtold, als er von den blauen Bergen in Australien erzählte und erklärte, warum die blau scheinen. Die Erklärung von Wikipedia: Die Blätter des Eukalyptus verdunsten das ätherische Eukalyptusöl, dessen feiner Nebel über den Bergen liegt. Neben der Rayleigh-Streuung ist dieser feine Nebel bei Tageslicht für die Blaufärbung verantwortlich die den Blue Mountains den Namen gab.

Es ist der 15.12.17. Der Tag der Gegensätze beginnt ausnahmsweise um 9 Uhr. Der schlechte Schlaf in den städtischen Schlafkatakomben musste erst noch ausgeglichen werden, was in der gebuchten Herberge problemlos möglich war. Ausgeschlafen und gut gefrühstückt mit italienischem Schinken und Edamer von ALDI-Australien. Das Brot aus der einzigen überlebenden Bäckerei, die sich gegen Woolworth und Aldi behaupten konnte.
Kein Starbucks heute, sondern wieder Kaffee vom Robert (ROBERT TIMMS ® Kaffeebeuteln, Mocha Kenya Styl). Zwar praktisch, aber durch die Einzelverpackung in Alubeutel ähnlich umweltbelastend, wie die Kaffeekapseln. Ich werde wieder auf Filter umstellen, auch wenn die Beutel verdammt praktisch sind.

Ich fahre zum Science-Park, der seit 2014 in Katoomba erbauten Weltsensation in den Blue Mountains. Das Auto parke ich ein Stück weit weg und gehe die letzten 300m zu Fuß über einen Naturpfad, der direkt in den Hot-Spot-Himmel führt. Ein neuer breiter Holzsteg am Ende des Waldpfades begrüßt meine Wanderschuhe. Sekunden später bin ich mittendrin im Gebäudekomplex. Mein großer Vorteil: das Tagesgeschäft fängt gerade erst an. Der Busparkplatz ist noch leer, nur einige Frühaufsteher sind bereits mit PKW´s oder zu Fuß da, um das wahre „Glück von Katoomba“ zu erleben.
Alles ist für den großen Ansturm vorbereitet, die ersten Seilbahngäste kommen bereits von ihrer Fahrt zurück, die Kinder fröhlich, die Erwachsenen eher frustriert, wenn ich die Gesichter richtig gedeutet habe. Vielleicht lags am bewölkten Himmel und dem Dunst im Tal. Das führt schnell mal zu einer Überschlagsrechnung Verhältnis Kosten-Aussicht. Wichtig für mich war nur den Cappuccino ohne Anstehen zu bekommen um ihn dann auf der Kunstrasen-Aussichtsterrasse ganz vorne zu genießen. Immerhin verzichte ich hier auf Alles was geboten wird und ein solcher Verzicht muss gewürdigt werden, eigentlich kostenlos.

Während ich mich dem Panorama hingebe, beginnt im Hintergrund langsam emsiges Treiben der Hilfskräfte. Offensichtlich sind die Fahrpläne der Busse und damit der erste Ansturm gut bekannt. Und tatsächlich: 30 Minuten später ist der Busparkplatz voll und die Reisegruppen strömen zu den Sensationen, während ich gegen den Strom schwimme zum Wanderpfad, der zu dem fast als Naturwunder gehandelten Hot-Spot „Three Sisters“ oder Drei Schwestern führt. Drei große Sandsteinsäulen vor den senkrechten 300m hohen Sandsteinklippen, die irgendjemand – wahrscheinlich im Total-Suff – für 3 Schwestern gehalten hat. Wäre Jimmy aus Sydney vor dem Namensgeber hier gewesen, wären es wahrscheinlich drei Brüder geworden und auf allen Landkarten wäre der Begriff „Three Brothers“ zu lesen.
Zur Erklärung: Jimmy war ein Typ, der mich in Sydney im Palace Hotel beim Bier auf eine bestimmte Art angesprochen hatte, die ich mich nicht so richtig anspricht. Wenn ich es richtig verstanden habe, lautete die Frage. „Do you know the song „Brothers in Arms?“ – Meine Antwort war, „Yes, I know the song, but I´m not a brother for Arms“. Das war´s dann mit der Unterhaltung.

Für meinen 60-Minuten Marsch spielte die Namensgebung eh keine Rolle, denn der Pfad führte am Klippenrand entlang mit wahrlich atemberauenden Aussichten über die ganzen Bergketten hinweg und in das 300m tiefer liegende Tal. Gefüllt mit Baumkronen und einem immer über dem Tal liegenden bläulichen Dunst. Das bewölkte Wetter gab dem ganzen Szenario einen fast mystischen Charakter. Tief ergriffen von vielen überwältigenden Momenten auf dieser Strecke, verwandelte sich beim Eintreffen vom einsamen Pfad auf die Aussichtsplattform vor den „Three Brothers, äh Sisters“ das Mysterium in wenigen Sekunden in ein Hysterium. Gerenne und Hektik bestimmen die sicher 1000m2 große Betonfläche, denn ständig traffen neue Reisegruppen ein, die alle am gleichen optimalen Platz ihre Fotos von den drei Schwestern oder Brüdern machen möchten und wegen der Verwandtschaft auch müssen. Dazu noch weitere Fotos von sich selbst mit den selbigen Figuren im Hintergrund. Die verwendeten Selfie-Teleskop-Wunderstäbe werden inzwischen in Längen verwendet, die einem Degen alle Ehre machen. Es würde mich nicht wundern, wenn diese Technik eines Tages zur Waffe mutiert.

Wenn man den ganzen Auftrieb aus 50m Entfernung gemütlich sitzend anschaut, kann und möchte ich nicht verhehlen, dass ich mich mit den vielen lachenden Gesichtern vor den hochgehaltenen neuzeitlichen Ablichtern mitgefreut habe. Aber auch mitgelitten, wenn besonders straff organisierte Reisegruppen dafür sorgten, dass die bisher Fotografierenden vom Geländer zurücktreten mussten. Da wurde gezogen und geschubst, fehlte nur noch, dass man die Vorderen übers Geländer geworfen hätte. Das dadurch entstehende Chaos beim Durchzählen in den Bussen will momentan noch niemand in Kauf nehmen. Das ganze Tohuwabohu wurde immer wieder durch Rufe und Schreie von Reiseleitern befeuert, die zum Aufbruch mahnten. Draußen warten die Busse und noch mindestens 25 weitere View Points.

Vom Gefühl her fahren 90-95% der Besucher mit gemieteten Reisebussen, mit den Ein-Aussteige-Sightseeingbussen, oder mit Pick-Up-Anbietern mit Komplettversorgung. Diese brettern auch durch Bäche und Waldwege. Diese Konstellation bringt es automatisch mit sich, dass eigentlich immer zu ähnlichen Zeitpunkten alle Busse an den Look Outs eintreffen. Die Morgenstationen sind nachmittags dann relativ verlassen und die Ruhe des Waldes kehrt zurück. So war am schönsten Punkt überhaupt nachmittags für 30 Minuten kein Mensch und dieser Platz wurde dann auch mein Lieblingsplatz, den ich am nächsten Morgen nochmals besucht habe. Dieses Mal für 45 Minuten.

Die Hauptgruppe bilden auch hier Menschen asiatischer Herkunft, deren Sydney-Programm auf jeden Fall die Blauen Berge beinhaltet, d.h. die Gruppen müssen morgens in im Sydneyverkehr los und erst einmal die 120 km in die Berge fahren und nachmittags wieder in den gleichen Verkehr zurück. – Zeit zum Verweilen bleibt da keine. Ist auch nicht notwendig, weil man zuhause genug Zeit haben wird, an den Fotos stundenlang zu verweilen und mit etwas Waldspray die Stimmung wieder herzuzaubern, ergänzt mit ein paar guten Tropfen, damit auch das Blau zum Zuge kommt. Nicht jeder muss Minuten- oder gar Halbstundenlang in die Landschaft starren und meinen, das würde gut tun. Es geht offensichtlich auch anders.

Einen großen Vorteil bringt das ultimative Pulk-Konzept für alle, die sich an der Natur in Ruhe erfreuen möchten. Es bilden sich ohne künstliche Steuerung oder praxisfremde Regelungen automatisch zwei Besuchergruppen, die ich als Hotspotter und Waldtrotter bezeichnen würde.
Beide Gruppen bekommen, was sie erwarten und wirklich wünschen und somit können die Bedürfnisse aller befriedigt werden. Keiner muss, jeder kann.
Die Waldtrotter können sogar direkt an den Hotspots beim Vorbeiwandern schnuppern. Möglicherweise kommt beim Anblick der vielen glücklich strahlenden Menschen die Erkenntnis, dass man selbst in einer verkehrten Welt von vorgestern lebt. Unter den erstaunten, aber gnädigen Augen der Natur kann jeder vollkommen freiwillig mit ein paar Dollar mehr den kleinen Schritt in die Neuzeit wagen. Ähnlich dem ersten Schritt des Menschen auf den Mond . „Ein kleiner Schritt für den Naturverbundenen, aber ein großer Schritt für die Hotspot-Company“, würde Neil Armstrong in Anlehnung an seinen Mondspruch formulieren, wenn er noch leben würde.

Das bekannte Sightseeing-Buskonzept aus den Städten wurde 1 zu 1 auch in die Blue Mountains übertragen. Allerdings fallen hier die vielen Menschen auf den doch beschränkten Flächen besser auf, wenn sie ein Naturschauspiel stürmen. Nach dem Foto kommt dann meistens das nervenzehrende Warten auf den nächsten Bus Die Takte liegen aus wirtschaftlichen Gründen auf dem Land bei eher 45 bis 60 Minuten. Einmal verpasst, heißt einige Lock Outs nicht mehr zu schaffen. Natürlich auch eine Möglichkeit, zur Ruhe oder ins Gespräch mit anderen Wartenden zu kommen. Aus rein sozial-kommunikativen Gründen, sollten die Takte eher noch verlängert werden.

Zusammengefasst hat der Naturliebhaber die Einsamkeit und Ruhe auf den wunderbaren Wanderstrecken den Hotspots zu verdanken. Sie ziehen die Massen an und verhindern dadurch das Eindringen der Natur-Imbis-Gruppen in die Stille der Blue Mountains.
An dieser Stelle sei – auch wenn ich mich öfters kritisch zum Massentourismus äußere – den Investoren der Anlagen gedankt. Das hört sich satirisch an, ist aber ernst gemeint. Anders und böse würde sich die Behauptung anhören, der Grund für die Aber-Millionen-Investitionen sei alleine dem Wunsch der Investoren entsprungen, die Täler und Wälder der Blue Mountains vor einer Überfüllung zu bewahren, um somit einen Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung zu leisten. Nein, das wäre was ganz Neues.

Ach ja, mein Lieblingsaussichtpunkt liegt in der Nachbargemeinde von Katoomba, dem Ort Leura und zwar in der Straße Olympia Parade. Der Weg beginnt schräg gegenüber vom Railway-Museum und führt ca. 100m leicht bergab. Für den Fall, dass mal jemand in die Blauen Berge kommt und auf diesem Felsen singen will.

Wissen sollte man noch, dass die ganzen Blue Mountains seit den 30iger Jahren zu einer Art Villengegend geworden ist, wo Millionen zuhause sind. Nicht an Menschen sondern an Vermögen. Ganz alte victorianische Villen wechseln ab mit ganz neuen Villen im modernen Stil. Alle etwas von der Straße weg, gut abgeschirmt mit PKW-Einfahrt und Gärtner. Bei neueren Villen lässt die Natur manchmal noch einen Blick auf das Gelände zu, wo dann die Porsches, Maseratis und Pick-Ups mit Chromgrill stehen und auf das Herrchen oder die Dame des Hauses waren. Das soll aber nur ein Hinweis darauf sein, dass diese Gegend nicht nur bei Touristen einen Stein im Brett hat, sondern auch beim Finanz-Alt-Hoch- und Neuadel.

Am 16.12.17 geht es weiter über Dubbo nach Bourke und dann an den entferntesten Punkt der Reise nach Cunnamulla. Jeden Tag 300 bis 400km. Ich freue ich
drauf.

Ahoy
Wilfried